Flechten sind eine Lebensgemeinschaft zwischen Alge(n) und Pilz(en). Wie an-dere Organismen, zeichnen sich Flech-ten durch eine ihnen eigene Farben- und Formenvielfalt aus.
Es gibt eine Fülle an Übersichts-Infor-mationen zu dieser Organismengruppe. So beschränkt sich diese Seite auf spe-zielle Fragen (mehr Fragen als Antwor-ten) zur Ökologie der auf anderen Pflan-zen aufsitzenden - epiphytischen - Flechtenarten.
Den Begriff symbiontische Lebensge-meinschaft aus Alge(n) und Pilz(en) verdeutlichen die Querschnitte der Furchen-Schüsselflechte (Blattflechte).
Von oben nach unten:
a) Den oberen Abschluss bildet die obe-
re weiß-graue Rindenschicht.
b) An sie schließt eine grüne, von Pilz-
fäden umsponnene Algenschicht an.
c) Danach folgt eine weiße Markschicht
aus locker wachsende Pilzfäden
d) Es folgt die untere Rindenschicht.
e) Die wie Wurzeln aussehenden dunk-
len Rhizinen haften am Substrat
Die in Pilzfäden eingesponnenen Algen
befinden sich in einer Schicht des Flech-tenkörpers oder -lagers. Sie betreiben
Photosynthese, assimilieren und ver-
sorgen den Pilzpartner mit Zuckern und Zuckeralkoholen (Kost), während die Pilzfäden das Lager (Logis) bereitstellen.
In Gallert- und manchen Krustenflechten sind Alge und Pilz eher gleichförmig ver-teilt.
Die Lebensansprüche epiphytischer Flechten und die Komplexität ihrer Umwelt zu entschlüsseln, wird man bislang nur ansatzweise gerecht. Zweifellos wurden zwi-schenzeitlich viele Standortparameter - teils besser (Borken-pH), teils schlechter (Lichtklima im Jahresverlauf) - gemessen und mit dem Flechtenbewuchs (Arten-zusammensetzung, Deckung...) korreliert. An Daten, vor allem solche, die über Einfachmessungen gewonnen werden können, besteht kaum Mangel2.
Das Problem besteht darin, dass zu den Ansprüchen der Flechten(gemeinschaften), ihrer Physiologie und ihren Populationen kaum raum-zeitlich skalierte Modelle, mit einer über die Einzelstudie hinausgehenden Gültigkeit, vorliegen. Die über 60 Jahre alte Analyse von Barkman (1958) zur Gültigkeit hierarchisch gegliederter (d.h. je-weils modifizierter) Umweltfaktoren auf epiphytische Kryptogamengemeinschaften, ist daher noch heute umfassend und modern.
An einer mindestens 80jährigen, entwurzelten Birke von rd. 25 Meter Höhe, wurde auf jeweils 1 Meter langen Abschnitten (Höhen: 2m, 10m, 20m) die epiphytischen Flechten bestimmt. Da der Ausbreitung der Arten (Soredien, Isidien, Thallusbruch-stücke) von oben nach unten nichts im Wege steht, könnte man vermuten, dass die Arten in 20 Metern Höhe auch im unteren Stammbereich wachsen.
Offenbar tun sie das nicht. Ein Grund dafür könnte sein, dass im Kronenbereich
(s. Bilder) noch die junge weisse Glattrinde (Ringelkork; Funktion von Initialperi-derm ca. 20 bis 40 Jahre) und im unteren Bereich die deutlich ältere netzförmige Schuppenborke vorherrscht.
Diese Borkentypen sind
Unabhängig von den Borkeneigenschaften ist das Lichtklima in der Vegetationszeit im Kronenbereich ein anderes als an der laubfreien Basis.2 Die bodennahe (2m) Luftschicht der Waldlichtung ist hinsichtlich des Wasser-Sättigungsdefizits der Luft (Bodennebel) anders zu beurteilen, als in 20 Meter Höhe. Anders ausgedrückt: Nutzen die oberen Flechten(stockwerke) eher Regen, die unteren Nebel/Luftfeuchte? Daneben gibt es natürlich weitere mikroklimatische Unterschiede zwischen den Wuchsorten.
Die Flechtenvegetation (Einzelfall Birke!) differenzierbarer Baumstockwerke unter-scheidet sich floristisch als auch quantitativ (z.B. auch John & Schroeck 2001). Vorausgesetzt, dass Flechten in Gegenden mit schwacher Luftbelastung zahl- und artenreich sind und so die Kleinstlebensräume eines Baumes artspezifisch besiedeln können. Dazu muss ein Baum alt werden dürfen.
Die vertikalen Besiedlungsmuster an Birken in South Devon (GB) (Harris 1971) ähneln hinsichtlich Zonierung und Artenzusammensetzung der hier gezeigten Einzel-aufnahme. An insgesamt 25 Birken wurden dabei 25 Flechtenarten nachgewiesen.
Die Reihung der Baumarten nach ihrer Borkentextur (Klassen 1 - 10) und ihrer Güte als Flechtensubstrat (Müller 1981) die junge Birken als eher ungeeignet (2), alte als eher geeignet (9) ausweist, ist allerdings zu hinterfragen, da der Stamm im Gipfel-bereich (Ringelkork) die Eigenschaft junger Birken aufweist.
Einfluss-Komplex 1: (Baum)art spezifische Variabilität
Einfluss-Komplex 4: Borken-Turnover und der unterschiedliche Besied-
lungszeitraum könnte die Artenzusammensetzung
epiphytischer Flechten beeinflussen
Einfluss-Komplex 3: Die Entwicklung des Einzelbaumes (Ontogenese).
(oder: zur Bedeutung einzelner Bäume)
Die Bilder zeigen drei in 50 Meter Umkreis wachsende Sommerlinden mit Stamm-
durchmessern von 8, 28 und 150 Zentimetern. Eine mögliche Sukzessionsreihe ausgehend von Krustenflechten über kleinlappige Blattflechten, bis hin zu einer Vielfalt der Wuchsformen.
Einfluss-Komplex 3: Das Baumalter steht in Zusammenhang mit
a) der Wahrscheinlichkeit den Stamm zu besiedeln (Zeit)
b) der Änderung der Rindenstruktur (und Kronenstruktur)
Glatte Rinde → streifenförmige Borkenrisse → Netzborke
c) (chemischen Eigenschaften)
Hale (1983) postuliert als wichtige Faktorenkomplexe, die die Artengemeinschaft epiphytischer Flechten differenzieren, die Substratfaktoren (60%) und das Mikro-klima (40%). Nach Wirth & al. (2013) ist die „Baumartenbindung der Flechten mit wenigen Ausnahmen gering.“ Nur eine Einteilung in basenreiche und basenarme Rindenoberfläche scheint flechtenökologisch bedeutsam zu sein.
Ohne weiteres ließen sich die Expertenaussagen als Nullmodell oder Grundannahme für mittlere Breiten bei fehlendem Immissionseinfluss beibehalten. Schnell kommt man bei der Beschreibung regionaler und lokaler Sachverhalte damit an Grenzen. Schon allein deshalb, weil das Mikroklima und daher auch eine mikroklimatisch bedeutsam erachtete Struktur - z.B. Borken(riss)tiefe - durch das Mesoklima beeinflusst wird und daher einen Bedeutungswandel (Relative Standortkonstanz) erfährt.
Da Lebensgemeinschaften nicht ausschließlich durch abiotische Randbedingungen geprägt werden, sondern durch populationsbiologisch wirksame Prozesse wie dem Diasporenaustausch, ist auch dieser in irgendeiner Form im Aufnahmeumfeld der Flechten zu berücksichtigen.
Beispiel wäre der Epiphytenbewuchs einer best. Baumart im planaren Bereich und im Hochschwarzwald, oder die Lebensverhältnisse der Flechten in einer Stadt in Deutschland mit 20, oder einer anderen mit 80 Nebeltagen.
Limnoterra ist - auch international -
keine Studie bekannt in der Feuchte-
anteile (Niederschlag, Nebel, Luft-feuchte) in ihrer Bedeutung bestimmt und in Relation zueinander und auf die epiphytische Flechtenvegetation gesetzt wurden.
Allgemein ausgedrückt:
Der Stellenwert lokal oder regional als ökologisch bedeutend erachteter Stand-ortparameter kann sich in Abhängigkeit übergeordneter klimatischer Randbe-dingungen ändern.
Ein hierarchisches System3, auf Grund dessen entschieden werden kann, welche Einflussfaktoren bei gegebener Geländesituation als konditional, operational und als resultierend anzusehen sind, wäre zur Einordnung zahlreicher ökologischer Studien
- die nach Betrachtungsweise und Messprogramm (über Faktoren, die nicht erhoben wurden, kann selbstverständlich auch keine Aussage getroffen werden) einen an-deren Faktor zum Schlüsselfaktor erhebt - definitiv zielführend.
Einfluß-Komplex 5
Einfluß-Komplex 2: Insbesondere im besiedelten Bereich spielen einengende Struk-
turen wie Gebäude und Mauern, aber auch andere Bäume eine große Bedeutung für die mögliche tägliche Besonnungsdauer.
Die Kronenstruktur spielt nicht nur hinsichtlich der Belichtungs-Situation eine Rolle, sondern sie beeinflusst darüber hinaus Stammablauf, Kronendurchlässigkeit und damit die Benetzung der Flechten.
Dies geht einher mit der Substratfeuchte, auch wenn diese nicht zu den primär wichtigen Standortfaktoren (Wirth 1992) gehören mag.
Da Licht (Wärme) bei Flechten nur zusammen mit Feuchte (feu-chter Thallus) ökologisch relevant ist, ist es günstig, beides einer gemeinsamen Betrachtung zu unterziehen. Die Befeuchtung der Flechten geschieht über Regen, Tau und Nebel, was die stand-örtliche Beurteilung weiter kompliziert.
Flechten sind lichtliebende Organismen, dennoch wird selbst bei wissenschaftlichen Studien das Lichtklima oft gar nicht, oder unzureichend
erfasst. Im Gegensatz zu einer einmaligen pH-Messung müssen zur Beurteilung des Lichtklimas am Stamm wenigstens zwei Messungen - im belaubten und unbelaubten Zustand - erfolgen. In jedem Fall ist die
Kenntnis der Potentiellen Sonnenscheindauer, oder wenigstens des Sky View Factors zielführend, um lichtklimatisch bedeutsame Strukturen (Nahhori-zont) in die Beurteilung einzubeziehen.
Die Bedeutung der Stammexposition ist, angesichts der Wirkung von diffuser Himmelsstrahlung, sommerlicher Belaubung, der Wechselwirkung Licht/Feuchte und ggf. der Streßwirkung Südexposition, nicht
eindeutig.
Astoberseiten stellen praktisch immer günstigere Wuchsbedingungen für viele epi-
phytische Generalisten unter den Flechten bereit.
Es gibt Pilze, die Algen parasitieren - sowohl freilebende als auch die symbiontisch lebenden Grün- und Blaualgen epiphytischer Flechten. Einer dieser Flechtenparasiten ist der in Deutschland weit
verbreitete Weiße Rindenpilz, auch Große Algenspinne
und Zweisporige Gewebehaut (Athelia arachnoidea) genannt.
Wird es auf einem Baum allzu bunt, sind u.U. mehrere solcher Gegenspieler der Flechten mit von der Partie.
Einfluss-Komplex 8: Lichenicole Pilze haben zumindest lokal einen differenzierenden
Einfluss auf die epiphytische Flechtenvegetation, was bei immis-
sionsökologischen Untersuchungen zu berücksichtigen ist.
In den feuchten Tropen können bestimmte Flechten fast jedes Substrat in kürzester Zeit besiedeln. Im temperaten Klima Deutschlands bedarf es meist längerer Zeit-räume, bis ubiquitäre Arten schwer besiedelbare Substrate einnehmen. Vor allem spielen dabei die Ausbreitungsverhältnisse eine Rolle (z.B. werden Oberflächen von Kabelverteilerschränken unter flechtenreichen Bäumen schnell bewachsen).
Auch Kunststoff- und Glasabdeckungen von Photovoltaik-Anlagen werden von Flech-ten (Algen, Moosen) besiedelt, was u.a. zur Entmineralisierung der Gläser führt. Da wir Pflanzen-verwertbaren Stickstoff in ausreichender Menge in die Luft blasen, er-folgt die Ansiedlung innerhalb weniger Jahre.
Einfluss-Komplex 4: Wenigstens die
Kunststoff-Substrate stellen epiphytischen
Flechten praktisch keine chemischen Ressourcen bereit.
Hinsichtlich des oberflächigen Säurewertes sind sie neutral.
Auf solchen Substraten siedelnde Flechten leben ausschließ-
lich von Beaufschlagungen
der Atmosphäre, CO2 und Sonnen-
licht.
Bei der Kartierung epiphytischer Flechten in Städten, spielen die 50 aufgeführten Arten eine wichtige Rolle. Sie bilden hinsichtlich Präsenz und Häufigkeit derzeit etwa das Basisartengefüge. 70 bis 80% der gesamten Artenzahl, Frequenzsumme, Deckung oder ein anderes Bedeutungsmaß entfällt auf diese Arten.
Bei Verwendung der (Arten)Zeigerwerte4 und der Interpretation daraus berechneter Bestandeszeigerwerte, ist kritische Distanz nötig.
Warum?
Zeigerwerte sind nicht unabhängig. Aus sechs Zeigerwerten lassen sich paarweise
15 Rangkorrelationen berechnen. Für Feuchte, Reaktion und die Eutrophierungszahl (N) sind diese hochsignifikant.
Ist mit einem Bestandeszeigerwert (F, R, N) der jeweilige Umweltfaktor wirklich zu erschließen, oder müsste hierzu eine stärkere Unabhängigkeit der Zeigerwerte, was vielleicht nicht in ihrer 'Natur' liegt, bestehen?
1
Hier: Dicranum
scoparium, Dicranoweisia
cirrata, Hypnum
cupressiforme, Orthotrichum spec..
Gefördert werden beispielsweise Flechten der Gattung Cladonia auf Moos-Substrat.
2
Flechten sind Lichtpflanzen. Wachstum ist aber nur bei ausreichender Thallusfeuchte
möglich. Der Zu-stand 'ausreichend Licht (Wärme) + ausreichend Feuchte' ist am Stamm-Lebensraum von geringerer Eintrittswahrscheinlichkeit als beispielweise im
Kronenraum. Auch müsste die EW wenigstens für die Jahreszeiten differenziert beziffert werden. Singulär betrachtete Mehrjahres-Mittelwerte (Klimahüllen) oder kurzfristig erhobene Faktoren
("Witterungs-Hüllen") skizzieren daher nur grobe Randbedingungen, die bei der Interpretation des Einzelfalls u.U. mehr verschleiern, als erhellen.
Die Tatsache, dass der Kronenbereich den in der Regel kartierten unteren Stammbereich mit Ausbrei-tungseinheiten 'füttert' (siehe aber Bsp. 1), macht das Ganze nicht einfacher.
3
Barkman, J. J. (1958): On the Ecology of cryptogamic epiphytes. With special reference to the Netherlands. Proefschrift. Rijksuniversiteit te Leiden. 202 S.. Z.B. Unterkapitel 16.
4
Ellenberg, H., Weber, H. E., Düll, R., Wirth, V., Werner, W., & Paulißen, D. (1992): Zeigerwerte von Pflanzen in Mitteleuropa. Datenbank. Scripta Geobot, 18, 1-258.
Wirth, V. (2010): Ökologische Zeigerwerte von Flechten - erweiterte und aktualisierte Fassung. Herzogia, 23(2), 229-248.