Kaum ein Gebiet im Ballungsraum Stutt-
gart trägt so stark zur naturräumlichen Identifikation der Bevölkerung bei, wie das um die drei vorderen Wildparkseen.
Pfaffensee und Neuer See bedecken Flä-chen über 5 Hektar, der Bärensee 4,1 ha. Obwohl die Seen (Flachseen, Weiher) durch den Menschen geschaffen wurden, sollten sie nach über 400 Jahren Entwick-lungszeit - wie im Fall des Pfaffensees - besser geschützte Lebensräume1 sein.
Der Rotwildpark - nicht aber die Seen1 - ist FFH-Gebiet. Auf Grund des EU-Schutz-status besteht hier ein gesetzliches Verschlechterungsverbot.
Die Stadt Stuttgart ist vollständig auf Wasserlieferungen aus weit entfernten Regi-
onen (Bodensee & Donauried) angewiesen. Seit Jahrzehnten gelangt salzhaltiger Straßenabfluss (Jährl. Ausbringungsmenge Streusalz ca. 5t/Straßenkilometer) un-
mittelbar in die Seen und verändert deren Chemismus und Artenzusammensetzung.
Der Forstdirektion und dem für Wasserqualität zuständigen Amt für Umweltschutz Stuttgart ist dies bekannt. Der Stuttgarter Rotwildpark und die Seen liegen in einem Wasserschutzgebiet höchster Schutzkategorie (Zone I & II). Da Chloridbelastung unsichtbar ist - man sieht und riecht es nicht - lässt sich die Illusion unbelasteter Natur seit Jahrzehnten aufrechterhalten. Hauptsache die Kulisse stimmt.
Nur ist Nachhaltigkeit keineswegs ein vages Zukunftsversprechen, sondern erfordert im Falle nicht-substituierbarer Wasserressourcen, transparente Interessensabwäg-ungen und eine Zuständigkeitsklärung zwischen zahlreichen Akteuren, die mit den Seen sektorale Bewirtschaftungs- und Nutzungsansprüche verbinden.
Daher sind die Stuttgarter Parkseen ein Lackmustest hinsichtlich der
Die im folgenden gezeigten Messwerte werden jährlich erhoben und befinden sich auf dem neuesten Stand.2
Im Jahr 2022 wurde der Bärensee fast vollständig abgelassen. Dammsicherung ist eine Notwendigkeit. Da die Seen aus dem FFH-Gebietsschutz ausgenommen sind, zeigt auch die folgende Erhebung der recht seltenen Teichbodenflora - die im Bereich des Schwemmkegels des Bernhardsbaches nie verschwunden war (vgl. Seybold & Seybold 2012) - wenigstens die Notwendigkeit einer kontinuierlichen (im Unter-schied zur ereignisbezogenen medialen Aufmerksamkeit) Dokumentation.
Im Winter 2022/23 fror fast die gesamte Population der Großen Teichmuschel (Geschützt durch die Bundesartenschutzverordnung!) auf und verendete.3
W. Kreh 1929: Pflanzensoziologische Bobachtungen an den Stuttgarter Wildparkseen.
Jahresh. Ver. vaterl. Naturk. Württ. 85: 175–203.
H. Tremp 2011: Ökologische Zustandsüberwachung der Stuttgarter Wildparkseen
(Unveröffentlichter Bericht). EnBW Regional AG. 26 S.
R. Seybold & S. Seybold 2012: Was ist aus der berühmten Teichbodenflora der Stutt-
garter Wildparkseen geworden? Jh. Ges. Naturkde. Württ., 168: 193-197.
Im Falle eines Umweltschadens (z.B. Max-Eyth-See; Stuttgart) ist es immer wieder verblüffend, dass im Augenblick von Fischsterben, Blaualgenblüten u.ä. (...2015, 2018, 2019...) - davor ist ein See meist kein Thema - Zuständigkeiten verhandelt werden. Die Medien (z.B. Stuttgarter Nachrichten zum Thema) dürfen sich dann aus der Gemengelage noch die Sympathieträger (Opfer, Retter, Tierschützer, Gutachter, zerknirschte Bürgermeister, Kabarettisten) herauspicken.
Transparenz, Ernsthaftigkeit und Handeln nach bestem Wissen und Gewissen, ohne taktisches Kalkül, würden in Zukunft solche Erklärungsnotstände beim Eintritt bis-weilen unvermeidlicher Katastrophen
ersparen. Ernsthaftigkeit setzt bei ökologischen Problemen fast immer die Einsicht voraus, dass es unter den gegebenen Bedingung-en keine ideale & sichere und bestenfalls
eine kurzfristig einigermaßen plausible "Lö-sung" (d.h. noch nicht einmal wirksame) gibt. Eine Einsicht, die mit aktualistischer Berichterstattung und Partikularinteressen offenbar nicht
in Einklang zu bringen ist und fast nie kommuniziert wird.
Der Druck aus kurzfristig öffentlich-medialer Betroffenheit (Blaualgen sollen ver-schwinden, Fische nicht sterben, Wasserpflanzen nicht wuchern, Seespiegel nicht fallen...) führt zu unglaublichen Kapriolen und immer weiteren Aktivitätsrunden, selten zu einem zukunftsfähigen Umgang - miteinander und dem Phänomen.
Nicht das Problem fehlender Handlungsoptionen, sondern einer in Stuttgart nur rudimentär existenten Fehlerkultur4 und der verbreiteten Ingenieurs-Vorstellung im Länd, ein See wäre eine Art Pool - nur eben etwas größer.
Mag man sich bei der Frage, wie der Max-Eyth-See 'funktioniert' nicht mehr auf alle möglichen Verlautbarungen
verlassen, kann man sich der Thematik gründlicher (z.B.
Scheffer & van Nes 2007, Hupfer & al. 2013 u.v.a.m.) annähern und technische
Mill-ionen-Maßnahmen und mediale Berichterstattung beurteilen.
Die Technikoptimisten-Alternative:
Hoffen auf das THW, Belüftungstechnik und Fremdwasserzufuhr, kühle Jahre, Phos-phat-Fällungsmittel, verständige Partikular-Schutz-Verbände und genug Finanzmit-tel. Und nicht zuletzt: In Sauerstoff-kritischen Phasen viel Wind in den frühen Mor-genstunden.5
Die Entwicklung des Max-Eyth-Sees skizziert ein veröffentlichter Projektbericht. Das Engagement vieler Beteiligter und von rd. 30 Firmen sowie der Stadt Stuttgart, die kostspielige Maßnamen finanziell fördern, vermitteln darin ein positives Bild.
Mit den angedachten Vorseen, in die Wasser aus dem See gepumpt wird um Nähr-stoffe zu entfernen, macht man sicherlich einiges richtig. Inwieweit - wie im Projekt-bericht zu lesen - dadurch der "Wasserkreislauf erlebbar" wird, ist eine Kuriosität am Rande, die die Bemühungen nicht schmälern soll.
Dass für die Stillgewässer der Metropolregion Stuttgart maßgebliche Impulse und langfristige wissenschaftlich abgestimmte Maßnahmen nicht von Politikerinnen, Ge-meinderätinnen und der Umweltverwaltung initiiert werden, sondern abhängig von Privatpersonen und Firmen-Werbebudgets sind, ist eine bittere Tatsache, mit der man sich wohl abfinden muss.
Der Eckensee ein architektonisches Kon-strukt, dass sich rein technisch regeln lassen sollte. Völlig überraschend funkt selbst hier die Ökologie dazwischen.
Sie überfordert Bauämter, Reinigungs-brigaden, Politik und Stadtgesellschaft.
Lassen sich gewässerökologische Pro-bleme immer rechtzeitig erkennen?
Sicher nicht, weil zukünftige Entwick-lungen (Nilgans-Invasion) nie vorher-
sehbar sind.
Durch die Bodensee- und Donauried-Wasserversorgung, wird sich die Stutt-garter Bevölkerung auch in mittlerer Zukunft nicht mit Versorgungsengpässen bzgl. Trink - und
Brauchwasser konfron-
tiert sehen.
Hinsichtlich des nachhaltigen Umgangs mit lokalen Ressourcen, die einen wesentlichen Anteil an der Klimawandel-Anpassung der Stadt Stuttgart haben sollten, ist die recht laxe Überwachung6 der Stillgewässer auf der Stuttgarter Gemarkung dennoch unverständlich.
Kann man verantwortlich und wirkungsvoll handeln?
1
Die Tatsache, dass im Gebiet zwar die kleinen künstlichen Weiher, wie etwa der Katzenbachsee, nach EU-Recht (Lebensraumtyp 3150 „Natürliche nährstoffreiche Seen“) Naturschutz genießen, nicht aber die drei großen Seen, versteht ein Laie nicht ohne Weiteres. Die Seen gehören der Netze BW, die Unter-haltung obliegt dem Tiefbauamt Stuttgart, das Fischereirecht dem Forst Baden-Württemberg, Pächter ist der Württembergische Anglerverein, für die Wasserqualität zeichnet das Amt für Umweltschutz Stut-tgart und für die Lebensräume das Regierungspräsidium Stuttgart verantwortlich (z.B. Stuttgarter Nachrichten 17.1.2020). Bei so viel Teilverantwortungen gerät die Gesamtverantwortung für die einzi-ge, ohne größeren Aufbereitungsaufwand nutzbare Not-Trinkwasser-Ressource Stuttgarts, zwangsläufig aus dem Blick - seit Jahrzehnten.
Zusammengefasst führte dies zum klassischen Effekt der „organisierten Unverantwortlichkeit“, zu Formalisierung und Absicherungsmentalität (Bogumil et al. 2020). Eine lohnende Aufgabe für den Stuttgarter Gemeinderat, wenn er sich denn als Problemlösungs-Gremium versteht.
2 Immerhin besteht die Hoffnung, dass die Stadt Stuttgart Verantwortung für ihre (Blick ins Archiv)
Trinkwasserressourcen übernimmt, Zuständigkeiten klärt und in transparenten Monitoringprogrammen
den Zustand der Seen sachgerecht dokumentiert. Die Sichtweise der Stadt Stuttgart: Ein Problem
existiert nicht, belastbare Entwicklungszeitreihen fehlen und das zuständige Fachpersonal hat alles
im
Griff.
3 Während an den sandig-steinigen Randbereichen des Sees Teichmuscheln gerettet werden konnten,
war dies für den fast einen Meter dick mit Schlamm bedeckten Seegrund nicht möglich, da er in der
Ablassphase nicht begehbar war und vom Boot aus die Tiere im Trüben auch nicht sichtbar waren.
Das ist tragisch, aber ökologisch (weil große Population) tolerierbar.
Zu vermitteln (Stadt Stuttgart, WAV und im Gefolge die Stuttgarter Presse und Radio) man hätte die Teichmuscheln gerettet, bewahrt vor Rückfragen.
4
Die Erstreaktion des Gewässerschutzes (in Stuttgart vertreten durch das Tiefbauamt), besteht, neben
technischen Sofortmaßnahmen, meist in der Herausgabe informativ-schmerzfreier Farbbroschüren.
5
Zweifellos wird am Max-Eyth-See viel gemacht - je nach neuer Situation (Fischsterben, Krautwachs-
tum, Niedrigwasser...) etwas anderes. Mal wird der Neckar-Oberflächenanschluss, weil
nährstoff-
armes(?) Grundwasser in den See gepumpt wird, geschlossen, fällt der Seepegel, dann gleich wieder
die Forderung den Neckarüberlauf zu öffnen.
Weder beim Tiefbauamt, Amt für Umweltschutz, Württembergischen Angelverein oder Bootsverleih
weiss weiß man, wie der See funktioniert, da eine belastbare Dauerbeobachtung und
Erhebung rele-
vanter See-Parameter nie Thema - gilt in gleicher Weise für alle anderen Stuttgarter Gewässer - war
und ist.
Wenn Ratlosigkeit im Technischen Ausschuss und dem Amt für Umweltschutz um sich greift, schlägt die
Stunde neuer, rekursiv erstellter Fachgutachten.
Nicht-Wissen angesichts komplexer hydrologisch-biologischer Sachverhalte ist nicht schlimm. Wie mit
Nicht-Wissen in Stuttgart seit Jahrzehnten umgegangen wird, dagegen schon. Eine gründliche Sich-
tung, zweifellos vorhandener Daten (ob aussagekräftige Parameter?), spart man sich immer schon,
während Geld für technische Spontanmaßnahmen gleich zur Hand ist.
6
So liegen wg. der jeweils nur partiellen Zuständigkeit der Behörden bzw. Vereine keine kontinuierlichen Erhebungen aussagefähiger chemisch-physikalischer Gewässerdaten vor. Verantwortung wird gewisser-maßen durchgereicht.
Nicht gerade ein neues Phänomen. Gesetzliche Regelungen [Die 5jährige Durchführung von Gewässer-schauen an Gewässern zweiter Ordnung obliegt nach § 32 Absatz 6 WG den Gemeinden als Träger der Unterhaltungslast] führen nicht zwangsläufig dazu, dass selbst größere Probleme (Oberflächenwasser-Salzbelastung; Bernhardsbach, Glems) überhaupt erkannt werden.
Natürlich bleibt es abzuwarten, wie sich der Bärensee 2025 bei der Wiederbefüllung präsen-tieren wird. Seine ökologische Aufwertung, d.h. die drei in der
Bildergalerie beschriebenen Maßnahmen (Stichworte: Chlorid, Auskofferung/Modellierung, keine Karpfen), werden aber
ziemlich sicher weder von der Stadt Stuttgart noch vom Regierungspräsidium Stuttgart ein-geleitet werden. Dies würde schließlich bedeuten, endlich Prioritäten zu setzen und ein Kon-zept
fachlich gegen Widerstände zu vertreten.
Ein neues Gutachten von traditionell peripheren Planungs-Büros - Motto: "kommen, gut-achten, gehen" - ist hingegen wahrscheinlich. Dann nämlich haben Stadtverwaltung und Fachbehörden das Erforderliche getan, haben Ruhe, und alles bleibt wie es war.
7 Die große Fontäne besitzt reine Schaufunktion. Da in dem extrem flachen Gewässer keine Fische
vorkommen und das Gewässer vollständig zirkuliert, ist zeitweise künstliche Turbulenz nicht nötig.
Eher steigert das über die Fontäne turbulent eingemischte CO2 die Algen-Produktivität. Inwieweit die
durch die große Fontäne im Nahbereich verbreiteten Aerosole bakteriell unbedenklich sind, kann hier
nicht beantwortet werden.