Mittelgebirgs-Karbonatbach (46 Mrd. l/Jahr). Die Ammer verbindet auf einer Länge von 22,5 km Herrenberg mit Tübingen. Ziel der EG-Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) wäre ihr guter ökologischer Zustand bis zum Jahr 2015 gewesen. Ein weiter-er Zeithorizont der Maßnahmenprogramme war das Jahr 2021 und bei Nicht-Erreich-ung des guten Zustandes geht es bis 2027 weiter.
Da der gute Zustand 2021 wiederum nicht erreicht wurde, können nach EU-Recht auch weniger strenge Umweltziele formuliert werden. D.h. heute und in Zukunft werden die Beurteilungskriterien für Gewässer ihrem Zustand angepasst.
Um das ursprüngliche Ziel (Beispiele natürlicher Gewässerstrukturen) zu erreichen, sollen sich die Gewässer unter Berücksichtigung der Kosteneffizienz (dies bestimmte die Politik) in Zukunft nach Renaturierungsanschüben quasi selbst sanieren. In die-sem Zusammenhang ist das Strahlwirkungs- bzw. Trittsteinkonzept (dies lieferte die Wissenschaft; DRL 2008, UBA 2014)1 von bundesweiter Bedeutung.
Das Prinzip, nachdem Wasser passiv die Ausbreitungseinheiten von Wasserpflanzen transportiert, ebenso, dass Tiere durch Drift und aktive Ausbreitung auch in devas-tierten Lebensräumen ankommen, ist richtig (wie das für Wasserfluss zuständige Newtonsche Gravitationsgesetz nur richtig sein kann). Nur sind die Gründe, warum Arten in einem Gewässerabschnitt fehlen, so vielfältig wie die Belastungen (Niedrig-wasser, Tiefenerosion, chemische Belastung, erhöhte Hochwasserfrequenz) der Flüsse und Bäche selbst.
Die Bilder zeigen zwei Quelltrichter und Ansichten in Kilometerabständen, bis zur Mündung in den Neckar. Die systematisch - nicht nach Erscheinungsbild - erhobe-
nen Gewässerabschnitte/Uferbereiche sind nach Aufnahmekriterien der Gewässer-strukturgütekartierung Baden-Württemberg (LUBW 2010) stark- bis vollständig verändert.
Sie sind mitnichten in einem „guten Zustand“, wie im Gäuboten vom 12.11.2014 vermeldet wird.
Die Ammer in der Tübinger Weststadt wurde während der Renaturierung nach „Ammerzonas“2 umgetauft.
Daten zur Fließgewässerstruktur auf dem LUBW-Server. Zur Wasserkraftnutzung der Ammer sowie weitere Aspekte (Gemeinde Ammerbuch).
An der Ammer wurde versucht das „Strahlwirkungskonzept“ des Deutschen Rates für Landespflege mit Hilfe geostatistischer Verfahren (Download wissenschaftliche Veröffentlichungen) zu parametrisieren und kritisch zu hinterfragen. Nach wie vor
ist es die einzige wissenschaftliche Veröffentlichung, die wenigstens versucht, die weitgehend auf ExpertInnen-Meinung beruhende
Strahlwirkung zu quantifizieren.
Dabei wurde auf die besondere Bedeutung lateraler (z.B. Keruzoré et al. 2013) Besiedlungsstrukturen hingewiesen und nicht ausschließlich auf longitudinale Wirkungen rekurriert.
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Trotz zentraler Bedeutung - es geht um fast alle Fließgewässer der Bundesrepublik - offenbar in Folge des politischen Umsetzungsdruckes, kein Thema für rd. 160 Forschungseinrichtungen der Wasserfor-schung, oder Fachvertretungen wie der Deutschen Gesellschaft für Limnologie , die hier richtige Wei-chenstellungen für die Zukunft formuliert. Bislang erscheint Strahlwirkung als eine Art „Biotopverbund light“. Ein „Narrativ der Hoffnung von der Rückgewinnung von Kontrolle“ (Leibenath 2010) ohne wis-senschaftliche Kontroverse. Leider wurde eine wichtige Phase wissenschaftlicher Tätigkeit, nämlich neuen Begriffen und Mutmaßungen zunächst mit kritischer wissenschaftlicher Distanz zu begegnen, einfach ausgesetzt. Stattdessen wird das Prinzip der Strahlwirkung seit über einem Jahrzehnt mantra-haft wiederholt. In Wasserbauingenieur-Studiengängen ist es Gegenstand der Ausbildung.
Hätte man die Aussage, dass Strahlwirkung dann weiter kompensiert, wenn „70% der Fließstrecke eines Wasserkörpers die Bedingungen für den guten ökologischen Zustand aufweisen“ (Podraza 2008) durchgespielt, wäre man nicht verwundert, dass bis heute lediglich 8% der Gewässer der Bundes-republik Deutschland einen guten bzw. sehr guten Zustand aufweisen.
(Renaturierungs)Ökologie die auf einer nur vagen Vorstellung der Belastungsursachen
beruht und auf Strahlwirkung/Biotopverbund setzt, wird nicht hinreichen. Die ohnehin laufende bundesweite Umsetz-ung aufgeschlossen, distanziert und kritisch zu begleiten, wäre die adäquate
Vorgehensweise. Expertensysteme in der Ökologie sind zwangsläufig unterkomplex und nur in Grenzen aussagefähig.
So ist es nicht überraschend, dass die fortschrittliche Beurteilungsgrundlage der WRRL neu bewertet und angepasst (z.B. DWA 2020) werden soll, wenn festgestellt wird, dass die ambitionierten Ziele nicht zu erreichen sind.
Ein offener Diskurs darüber wäre prinzipiell nicht schlecht, nur befand sich die Thematik von Anbeginn innerhalb eines selbstreferenziellen Zirkels aus Wasserwirtschaft, Politik und vergleichsweise wenigen Wissenschaftlern. Grundsätzliche Fragen stellten sich damals nicht. Und heute schon gar nicht, da man sich bundesweit in der Umsetzungsphase befindet.
Dass der Strahlwirkungs-Schrittmacher, der Deutsche Rat für Landespflege im Jahr 2022 „nach 60 Jahren nun seine Tätigkeit einstellt, dies vor dem Hintergrund des Verlustes seiner finanziellen und seiner fachlichen Unabhängigkeit und auch angesichts einer Vervielfachung von Institutionen und Beiräten, deren Politikberatung zunehmend ungehört verhallt“, zeigt sehr deutlich, dass Nähe zu Politik erfolgversprechend ist, man aber nie sicher sein kann, v.a. bei unabhängigem Denken, sich plötzlich auf einem Abstellgleis wiederzufinden.
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Renaturierungsbemühungen (ca. 2% der Flusslänge) sind zu begrüßen und anzuerkennen und zweifellos spielen Aufnahme, Akzeptanz und Identifikation der Anwohnerinnen hier eine zentrale Rolle.
Ob der nach EU-WRRL gute Zustand des Flüsschens Ammer (und der anderer Bäche und Flüsse) auch herbeigeredet bzw. -geschrieben werden kann? Die Wahrnehmung des gemeinsamen Flüsschens und eine dadurch gepägte Partnerschaft Herrenberg-Ammerbuch-Tübingen könnte den WRRL-Prozess ent-lang der gesamten Ammer befördern.