Limnoterra
Limnoterra

Hier finden Sie Limnoterra

Dr. H. Tremp
Schuhgasse 2
71083 Herrenberg

 

Kontaktformular

Der Neckar

Wasserweg durch die Mitte Baden-Württembergs

 

Sein Wassereinzugsgebiet umfasst rd. 40% der Landesfläche. Er ist Gegenstand unzähliger kultureller & wissenschaftlicher Betrachtungen. Entlang des Neckars
ist man mit Bahn oder Auto wenige Stunden unterwegs. Auf Flussradwegen ist er
in acht gemütlichen Etappen erfahrbar - ähnlich der Zeitbedarf für den Neckarma-
rathon. Schwimmend sollte man wenigstens 14 Tage veranschlagen...

 

 

 

Neckar (Baden-Württemberg, Hessen)

In diesem Beitrag ist nicht von seinen lauschigen Anfängen im Schwenninger Moos, den poetischen Ufern Tübingens, dem Fleiß seiner sympathischen Anlie-
ger, 
köstlichen Weinen und Burgenro-
mantik die Rede.

 

 

Tourismusfördung, Zeitschriften, Bild-bände und zahlreiche Filmbeiträge sehen in dieser Form der Neckar-Prä-sentation ihre vordringliche Aufgabe.

Wenn sein Wasser Stauwehre passiert, mutiert er zum wilden Gesellen“, bei Dauerregen zum richtigen Wildbach“.

 

 

 

 

Bildunterschriften eines wunderschönen Neckarbuches. Sie stehen für hunderte Vorläuferbände...

Fast dschungelartige Wälder“ werden gesichtet und zwischen Pleidelsheim und Freiberg bietet auch ein Kanal eine schöne Flusslandschaft“.

 

Wahrscheinlich ist es so: Je weiter man sich vom eigentlichen Objekt entfernt, umso idealistischer die Bilder.
Der Wunsch nach Nähe und Identifikati-on mit der Natur mag dabei eine gewisse Rolle spielen. 

 

So entstehen Wohlfühl-Narrative und eine Neckarkulisse für etwas tief empf-
undenes - leider längst verlorenes. Die Problematik des Lebensraumes für Tier und Mensch wird dabei nicht tangiert.

 

 

 

Gewässerbelastung ist zurecht Domäne der Wasserwirtschafts- bzw. Umweltbehör-den. Dargestellt wird sie meist in Form bunter Grafiken und nie wird versäumt, auf eine positive Trendentwicklung hinzuweisen. Wenn Neckarfisch, dann meist Portrait-aufnahmen aus dem Aquarium. Diese Form der positiv-ansprechenden Vermittlung (= Öffentlichkeitsarbeit) sind üblich und inhaltlich nicht falsch.

 

Aber: Wenig Vorzeigbares/Unzulässiges/Schwerverständliches lässt man weg. Ein Niveau, dass eine kritische Auseinandersetzung befördert (s.o.), wird nie erreicht - und soll es wohl auch nicht. Dies auch den Landtag BW. Die Beantwortung der Fra-
gen von Abgeordneten (sog. Kleine bzw. Große Anfragen) dürften Goldstandard hin-
sichtlich der Informationsqualität sein. Ob den Anfragenden der Zustand des Flusses nach der Datenbereitstellung von Fachbehörden klarer vor Augen steht, müssen sie 
natürlich selbst beurteilen.1

 

Daten sind schnell bei der Hand - deren Bedeutung dafür oft mehr als unklar.

 

Einfach zu messende Variablen wie Temperatur und Sauerstoffgehalt des Wassers sind mit einem Mausklick bei Landesbehörden online verfügbar. Sie sind für Experten als Hinweis auf eine kritische O2 Mangelsituation wichtig. Ansonst sind solche Para-
meter im Tagesgang extrem variabel und nur begrenzt aussagefähig. Es schadet nicht, sie aktuell & unkommentiert mitzuteilen, nur vermitteln sie etwa soviel, wie eine stündliche Online-Messung der Lufttemperatur über den Klimawandel. 

 

Für aussagekräftige Darstellungen von Sachverhalten, etwa des Tonnagerückgangs, die kaum verbesserungsfähige biologische Gewässergüte, die Wärmelast und die Vorfluterfunktion des Neckars, investiert man vergleichsweise wenig Mühe. Diese Informationen stellen das nicht-mitteilenswerte (= gewohnte) Grundrauschen dar.

 

Dann und wann - hören wir Meldungen über die Fluorindustrie, die den täglichen Liter Trifluoressigsäure (1 Liter Ewigkeitschemikalie auf täglich ca. 10 Milliarden Liter Neckarwasser) in den Neckar leitet, oder dass überall Mikroplastik auftaucht - stellt sich Sekunden-Betroffenheit ein, obwohl niemand in der Lage ist zu sagen, welchen (zusätzlich?) quantifizierbaren Effekt dies auf den Neckar hat.

 

Warum aber zu einem besseren Verständnis des Neckars vordringen, wo beeindruck-
ende Luftbilder, leere Phrasen und hingeworfene Zahlen ausreichen, den ohnehin 
überschaubaren Wissensdurst zu bedienen?

 

 

 

„I am going to Heidelberg on a raft. Will you venture with me? Their faces paled a little, but they assented with as good a grace as they could“

 

                              Mark Twain (1880)2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Sinne Mark Twains, der seine Kumpane zu einer Floßfahrt auf den Neckar bittet, möchte dies Limnoterra mit der Befahrung über 300 Kilometer tun. Ein Vergnügen ist eine solche Fahrt mit einem Faltboot - hölzerne Innenkonstruktion und dünne Bootshaut - angesichts von 34 Wehren und 27 Schleusen sowie blockreicher Renatu-rierungsabschnitte nicht. Vielmehr eine Schinderei.

Der Gewässerführer des Deutschen Kanuverbandes (DKV) rät von der Befahrung des Oberen Neckars ab Tübingen ganz ab. So verwundert es nicht, dass während der Wanderfahrt erst am 4. Tag die ersten Plastikkajaks (Stocherkähne und Tretboote zählen nicht) im Esslinger Feierabendbetrieb gesichtet wurden.

 

 

G. Hagen (ohne Jahr; ca. 1935): Deutsches Wasserwandern. Verlag Ludwig Simon. Berlin.

Faltboot und Neckar haben Tradition.
Die Faltbootwerft Germania wurde 1925 in Neckarzimmern gegründet, die bis in die 70er Jahre verschiedene Faltboot-Typen fertigte. Auch die A. Marquardt KG (Heilbronn) stellte Faltboote her.

 

 

 

 

Noch vor 100 Jahren dachte jeder an ein Faltboot, wenn von Kajak oder Paddelboot die Rede war. Historische Bilder zeigen Treffen von hunderten Faltboot-Besitzern am Neckarufer.3 

 

 

 

 

 

Etappe 1

 

Wie lange der Neckar war und ist, weiß zwar das Internet, aber im Grunde niemand so richtig. Es werden Längen zwischen 362 und 367 Kilometern mitgeteilt. Die kür-zeste (Kanal)strecke dürfte sogar unter 362 km betragen. Ohne fürsorgliche Besch-neidungen wäre der Neckar über 400 km lang.

 

Bereits die obersten Kilometer Neckar sind (hinter)fragwürdig, denn zweifellos ist die Eschach der längere Quellarm (Neckarlänge ~380 km) und nicht das Schwenninger Quellbächlein.

 

 

 

 

 

Als sichere Information hinsichtlich der Neckarquelle ist nur festzuhalten, dass dort, wo die Hinweisschilde 'Neckarur-
sprung' oder 'Neckarquelle' stehen (Position 1 & 2), diese(r) nicht ist.

 

 

Nahe der Quellregion, das erste Industriegebiet und ein Nachtclub im Grünen.
Drei Protagonisten im Theaterstück "The Länd".

Falls es daneben noch Zeitungsredakteure geben sollte, die in Schwenningen einen sauberen und in Stuttgart dreckigen Neckar vermuten, sei ihnen ein Realitäts-Trip mit offenen Scheuklappen und Nasenflügeln empfohlen.

 

 

Etappe 2

 

Zweifellos einer der landschaftlich schönsten Neckarabschnitte. Nicht zu übersehen, dass der Neckar bereits bei der Trinkwassergewinnungsanlage Neckarburg in Folge massenhafter Entwicklung der benthischen Grünalge Cladophora glomerata  - infolge zu hoher Nährstoffbelastung - ein grünes Flussbett besitzt. Sein Wasser ist nicht trinkbar.

 

 

Etappe 3

 

Es geht los. Mit der Kleinen Vik, einem älteren Pouch CR12 Testboot, und zwei klei-nen Packsäcken mit Schlaf-, Biwaksack und Wechselklamotten. Täglich wird so weit gepaddelt, bis die Kraft zu Ende geht, bzw. bis es dämmert. Der häufig erwähnte Pegel Horb (±50 cm) garantiert nicht, dass man im Oberen Neckar sein Faltboot nicht zuschanden fährt.

 

Zu der nach Regenereignissen starken Braunfärbung des Neckars durch erodierten Oberboden, findet sich hier ein anschauliches Rechenbeispiel.

 

Etappe 4

 

Die wohl übelste Wehrstrecke eines Flusses in Deutschland. Die Segnungen der Was-serkraft werden von Limnoterra durchaus anerkannt, v.a. auch in ihrer historischen Dimension. Der Begriff Ökostrom, der zerhäckselte Fische und Wanderungsein-schränkungen der Lebewesen in Kauf nimmt, bedarf in seiner Ambivalenz natürlich einer begrifflichen Klärung.
 

 

Etappe 5

 

Für diese Strecke gilt das für die Etappe 4 bereits Gesagte. Ausgesprochen ärgerlich ist die Ignoranz bis hin zur Fahrlässigkeit der (Kraftwerks)Betreiber, die bisweilen noch das Wehr ankündigen, aber in praktisch keinem Fall Hinweise auf Rettungsaus-stiege geben, oder einfachste Anlandungshilfen bereitstellen.

 

Wie der geschredderte Aal sollte sich auch der Kleinbootfahrer des Risikos und Haftungsausschlusses bewußt sein.

 

 

Etappe 6

 

Die Aussicht, im nächsten Neckarabschnitt nicht laufend ein 30 kg Boot (beladen & nass) Böschungen hinauf und hinabschleppen zu müssen, lässt einen - selbst an-gesichts der 27 ab Plochingen zu bewältigenden Schleusen - geradezu euphorisch werden.

 

 

Etappe 7

 

Wie riecht der Neckar im Sommer? Durchgehend ein leicht stickiger Geruch, der von zerschlagenen bzw. sich zersetzenden planktischen Algen herrührt.

Darüber liegt die Note Balsampappel/Weide, Kot, oder ein stumpfer, an Ozon erin-nernder Geruch der Kläranlagen. Selten und nur von Sekunden Dauer sind die Ge-rüche Schiffsdiesel und Schmierfett. Und in Mannheim entlang des Mühlauhafens ein fieser Ausflug in die organische Chemie und der (erstaunlicherweise) unangenehme Geruch von Kakaoverarbeitung einer Schokoladenfirma.

 

 

Etappe 8

 

Die Beurteilung der Belastung des Neckars geschieht nach EU-Standard über die Untersuchung der Artenzusammensetzung bei Tieren (Fische, Kleinlebewesen) und Pflanzen (Algen, Wasserpflanzen). Die Artenzusammensetzung von (unbelasteten) Referenzgewässern wird mit der des Neckars verglichen. Der Grad der Abweichung bestimmt seine Güteklasse. Ein fortschrittlicher Bewertungsansatz, der nicht auf ab-strakte Stoffkonzentrationen oder Ausbauarten abzielt, sondern auf deren Wirkung-en auf die Gewässerbewohner (bei der Luftbelastung ist man noch nicht so weit). 

 

Die Ergebnisdarstellung dieser Bewertung erfolgt in Baden-Württemberg nicht mehr mittels (linearer) Farbgebung der Flüsse, bzw. ihrer Abschnitte, sondern flächig (sog. Oberflächen-Wasserkörper), was dem gewässertypisch-intuitivem Verständnis von Nicht-Fachleuten entgegensteht. Datenberge verschwinden gewissermaßen im Nebel  der Datenaggregierung, was überhaupt nicht zu dem permanent geäußerten politi-schen Ziel der Transparenzförderung passt.  Karten, die den Zustand der Qualitätskom-ponenten an einzelnen Beprobungspunkten zeigen, wurden mittlerweile ins Internet gestellt. Das Bundesumweltamt stellt noch eine aussagekräftige Karte bereit, wonach sich der Neckar durchgehend in einem mäßig bis schlechten Zustand befindet.  Daran kann sich am Mittleren und Unteren Neckar auch in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern. Es fehlen ihm - dem wilden Gesellen - durch den Ausbau ja sämtliche Eigen-schaften eines Mittelgebirgs-Flusses (vgl. Niederungsfluss Peene).

 

Hinsichtlich der aktuellen chemischen Belastung des Neckars gilt, dass Konzentratio-nen bestimmter Belastungsparameter im "Vergleich zu früher" wesentlich niedriger liegen. Andererseits sind wir erst heute in der Lage, das Spektrum organischer Kompo-nenten detaillierter zu analysieren, wonach sich schnell das Gefühl einstellt, gerade einmal die Spitze des Eisbergs in den Blick zu bekommen, etwa über die Kartierung der chemischen Fußabdrücke europäischer Flüsse. Auch im Neckar überschreiten diese wenigstens die Grenzen chronischer Belastung für die (Tier)artengruppe der Wirbellosen (das sog. Makrozoobenthos).

 

Neben unserem Nicht-Wissen über Spurenstoffe und deren Kombinationseffekte (wieviel Tests wären durchzuführen und zu bezahlen?), sollten wir uns immer wieder vor Augen führen, auf welch tönernen Füßen auch 'solide Grenzwerte' vergleichs-weise unkritischer Chemikalien stehen.

 

 

Die Grafik wurde mit frei verfügbaren Chlorid-Wasser-daten der Landesanstalt für Umweltschutz (LUBW) erstellt (n = 700).

Als unkritisch und ausreichend für einen guten Gewässerzustand gilt beispiels-weise Chlorid (Cl-; NaCl = Speisesalz), wenn die Konzentration im Gewässer unterhalb 200 mg/l bleibt. Der Trink-wasser-Grenzwert liegt bei 250 mg/l
(s. hierzu Info II).

 

 

 

Auch wenn Grenz-Konzentrationen nach teilweiser Einstellung der Salzförderung im Neckartal heute nicht mehr erreicht werden, bleibt die Frage, ob eine durch-gängige

- von Schwenningen bis Mannheim -

 

 

 

 

Chloridkonzentration von im Mittel 56 mg/l keine Belastung darstellt, zumal Chlorid lediglich eine Komponente von unzähligen anderen (unkritischen) ist, deren Kombi-nationseffekte (s.o.) nicht bekannt sind.

 

Wie hoch war wohl die ursprüngliche Chloridkonzentration im Neckar?

 

Lokal, z.B. an Austrittstellen mineralischer Wässer, deutlich erhöht. Auf keinen Fall aber in der gezeigten Größenordnung über alle Teileinzugsgebiete/Geologien hinweg. Daher liegen die Konzentrationen zwar unterhalb von Grenzwerten, - normal (Streu-salz, Wasserenthärtung, Ausscheidungen) sind sie hingegen nicht.

 

Was bedeutet vor dem Hintergrund des früheren und heutigen Neckarwasser-Cock-tails, der Wärmebelastung (s.u.) der Tatsache, dass so viele Arten dem Neckar ab-handen gekommen sind und dass Gewässer"verbesserungen" (80% der Fließge-wässer Deutschlands sind in schlechtem Zustand) mittlerweile ein Plateau erreicht haben (d.h. keine maßgeblichen Verbesserungen zu erwarten sind), das Wort "Renaturierung"?4

 

 

 

Ab 2008 ist die (natürliche) geringe Temperaturzunahme flussabwärts erkennbar. Die Lufttemperatur der Dekade 2000 - 2010 weist einen fallenden Trend (vgl. Wasser-temperatur), die 2010 - 2020 einen ansteigenden auf.

Worst-case Szenarien waren am Neckar immer Realität 

 

 

 

 

Die Grafik zeigt mittlere jährliche Was-

sertemperaturen des Neckars, vor und nach dem Kernkraftwerk Obrigheim.

Die Grafik wurde mit frei verfügbaren,

Tages-(Wasser)Temperaturdaten der Landesanstalt für Umweltschutz (LUBW) auf der Basis von rd. 12000 Messwerten (7% Fehlstellen) erstellt.

 

 

 

 

 

 

 

Zwischen Gundelsheim und Guttenbach liegt das 2005 abgeschaltete (Pfeil) Kern-kraftwerk Obrigheim.5 Danach war mit dem Klimawandel im Neckar erstmal Schluss.

Das KKW hat über Jahrzehnte die Neckartemperatur über 21 Fluss-Kilometer auf wenigstens 2,3 K erhöht. Unmittelbar nach der Kühlwassereinleitung dürfte die Temperatur des Neckars aber wesentlich höher gewesen sein. Der Obere Neckar kühlte sich nach KKW-Abschaltung schlagartig ab - das erwartbare Phänomen.

 

In Rockenau beträgt die Mitteltemperatur des Neckars heute 13°C. Das Jahresmittel der Luft im Neckartal liegt hingegen zwischen 10 und 11°C. Der Neckar ist daher bereits allein auf Grund der Einleitung von Kühl- und Prozesswasser zu warm.Der Effekt des Klimawandels wird noch oben drauf gepackt! D.h. man darf neben dem heute im Vordergrund stehenden mittelbaren Klimaeffekt, die unmittelbar wirksame Abwärme nicht vergessen. Sie veränderte die Lebenswelt des Neckars bereits, als Klimawandel noch gar nicht unseren Wortschatz bereicherte, obwohl dieser sich längst die Welt vornahm.

 

Wegen der Einmündung der Enz konnte ein ähnlicher Vergleich für das Kernkraft-werk Neckarwestheim mit offiziellen Daten nicht erstellt werden. Dafür wäre eine Mess-Stelle nach der Konfluenz, z.B. in Walheim, Gemmrigheim oder Kirchheim a.N. erforderlich (gewesen).5 Bisweilen fehlen ganze Jahresgänge an Messdaten (siehe obere Grafik; Jahr 2002). Warum betrieben wir Kernkraftwerke, konnten aber keine kontinuierlichen Temperatur-Messungen durchführen? Falls vorhanden, sollten aus-sagefähige Daten im UDO (Umwelt-Daten-Karten Online) eingestellt werden.

 

Da sich Kernkraftwerke mittlerweile wieder in breiten Bevölkerungsschichten stei- 
gender Beliebtheit erfreuen, bieten zahlreiche unveröffentlichte Daten vielleicht einen Denkanstoß, wenn unkalkulierbares Restrisiko schon nicht reicht.

 

 

Etappe 9

 

Bei erstmaliger Verwendung der Bootsschleppen ist man als Wasserwanderer ent-zückt. Bootschleppen sind Aluminium-Loren, die ins Wasser gefahren werden. Der Kajak wird darüber positioniert und kann so bequem aus dem Wasser und über längere Schleusen- bzw. Wehrstrecken gezogen werden. Leider sind diese sinnvollen Einrichtungen in die Jahre gekommen. Von den insgesamt 27 Neckar-Bootschleppen funktionierten ¼ gut, bei einem ¼ der Schleusen gibt es die Einrichtung nicht, bzw. nicht mehr. Bei rd. der Hälfte der Fälle waren die Loren schwergängig, sprangen aus dem Gleis, wucherte Gebüsch, oder es fehlten Zugseile. In Einzelfällen werden statt der Loren luftbereifte Wagen zur Verfügung gestellt. Angesichts der geringen Bedeu-tung des Wasserwanderns auf dem Neckar, sind die Wartungsdefizite verschmerzbar.

 

Landesamt für Denkmalpflege: Zum Gesamtkonzept gehörte auch die Rücksicht auf die Fischerei sowie die Bedürfnisse des Wassersports. So gibt es an fast allen Stau-stufen Fischtreppen (Anm.: die meist unzureichend funktionieren) und Bootsschlep-pen (Anm.: s.o.).7

 

 

Etappe 10

 

Richtig still ist es auf dem Neckar nie. Dass es im Stuttgarter und Mannheimer Hafen beim Verladen von Schrott ordentlich scheppert, verwundert nicht. Warum auf Ab-schnitten, in denen weder Siedlung noch Industrie eine Rolle spielen, nervtötender Lärm herrscht, erstaunt schon eher.

Beispielsweise gilt dies für den tief eingeschnittenen Neckarabschnitt zwischen Rott-weil und Neckarburg, der wegen eines traditionellen Schießplatzes von Gewehrsal-ven erschüttert wird, die in dem Engtal vielfach widerhallen. Akustisch ähnlich, die engen Schleifen des Odenwaldneckars. Insbesondere Motorrad- und Schwerlastver-
kehr verursachen hier brachiale Lärmorgien. Genaugenommen lässt der Motorrad-fahrer seinen eigenen Lärm hinter sich zurück, gewissermaßen als Abfall.
Schwerste Lastschiffe erzeugen dagegen ein gemütliches Brummen.

 

 

Etappe 11

 

Wie geht es weiter? Nun ist der Neckar schon einmal auf 203 Kilometern hart aus-gebaut und für 100-Meter-Schiffe geeignet, sog. 'Oldtimer der Binnenschifffahrt'. Unbestreitbar: Schiffs-Lastenverkehr weist ein günstiges Verhältnis von Nutzlast zu toter Last auf, erfordert kaum Personal und verbraucht im Vergleich zum LKW we-niger Energie.

 

Nun wurden bei der Neckarfahrt der kleinen Vik selten an einem Tag mehr als 5(!) fahrende Lastschiffe passiert. Man schaue sich auf der Momentaufnahme eines Sa-tellitenbildes (Google-maps) die Zahl fahrender Frachtschiffe an. Fakt ist, dass die Tonnage auf dem Neckar (Baden-Württemberg) schon länger zurückgeht, ebenso, dass rd. 50% der Schiffe unbeladen flussabwärts fahren und perspektivisch etwa Kohletransporte (Umstellung Kohlekraftwerke auf Gas) weniger werden. In den letzten Jahren kommen 3 bis 5 Mio. Tonnen/Jahr zusammen. Das sind rd. 1% des Güterverkehrs in Baden-Württemberg.8

 

Tonnage-Anteil Neckar-Schifffahrt in Prozent der gesamten Binnenschifffahrt Baden-Württembergs. Nach Daten des Statistischen Landesamtes 2024.

 

 

Gebetsmühlenhaft erhobene Forderung-en wie etwa vom Verband der Region Stuttgart nach weiterer Neckar-„Ertüchtigung“ auf 135-Meter-Schiffe, sollten angesichts vieler v.a. durch den Klimawandel bedingte Unwägbarkeiten


- Niedrigwasser

- Hochwasser
 

sowie smarte Logistik, vom Tisch sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ist es angesichts der vielfach beobachteten und faktisch-maroden Infrastruktur nicht vernünftiger, das Bestehende zukunftsfähig zu erhalten und daneben verstärkt und grundsätzlich  ökologische Prinzipien zu verankern, als mit (Nachkriegs-)Konjunktur-programmen den Neckar aufs Neue und noch weiter zu degradieren? Aktuell wird nach einem Entscheid der Bundesregierung die Schleusenverlängerung am Neckar zugunsten ihrer Instandsetzung zurückgestellt. Deren Ausbau sollte urspr. bis zum Jahr 2025 abgeschlossen sein. Güter mit 100-Meter-Schiffen zu transportieren

- mengenbedeutsam, profitabel & umweltschonend - hätte in Baden-Württemberg zu jeder Zeit gefördert werden können. Stattdessen trauert heute der gesamte Landtag Baden-Württembergs (Kollektive Entrüstung bei latenter Paralyse) den erhofften Bundeszuschüssen nach. 

 

Wie ging eigentlich zusammen, dass Landesregierung und der Verband d. Region Stuttgart einerseits Projekte zu neuer Lebensqualität (Flussregion werden!) am Wasser finanzierte und daneben das Ziel - den Ausbau der Wasserstraße Neckar - nie aus den Augen verlor? Engagierte Projektnehmer und Umweltverbände sollten sich durchaus - heute wie früher - ihre nicht auszuschließende Feigenblattfunktion vor Augen führen.

 

 

Staatsanzeiger-Nachrichten (BW) vom 10. September 2024

 

Stuttgarts verlorene Gewässer: Wie der Neckar durch die IBA’27 wieder ins Ram-penlicht rückt...die Stadt Stuttgart hadert schon lange mit der Tatsache, dass jeg-liches Gewässer aus dem Stadtraum verdrängt wurde“. Auch die „Rückeroberung der Flüsse in der Region Stuttgart“ ist längst - so scheint es - geplant.

 

Epilog zum Fluss der Dichter

 

 

Die Neckar-Loreley

 

Es ist noch gar nicht lange her
da schwamm das Schwesterchen der Loreley
den Neckar hoch
und dachte sich
zunächst nicht viel dabei

 

Morgens in Mannheim, stur geradeaus
taucht sie mit starken Schlägen
dem feinen Näschen entgeht
unter Wasser
der üble Geruch deswegen

 

Neckarzimmern kennt sie schon
so romantisch seine Gassen
ihr dereinst blondes Haar
verzaubert den Flößer Mark Twain
Dort hat er sie auch verlassen

 

In Marbach um die Mittagszeit
Öl schillert und treibt zum Rhein
und dichtet den Fischlein
die Kiemen ab
man muss nur Lungenatmer sein

 

Abends der Stuttgarter Gaskessel türmt
kaum Menschen am Ufer, beim Schauen und Sinnen
die vielen Fischtreppen
sie ermüden die Frau
sucht einen Felsen, Melodien anstimmen

 

Es kreist der Neckarmüller im Stocherkahn
von ihm hat sie den Fels im Wasser erfleht
kaum sichtbar im Fluss
von Strudeln umspielt
der Kajak läuft auf, wie‘s auf dem Neckar so geht9

 

 

 

1    Anfragen von Landtag-Abgeordneten zum ökologischen Zustand des Neckars (Umweltpolitik in
       Fragen und Antworten) 2019: Drucksache 16 / 6719 29. 07. 2019
       So lange Landtagsabgeordnete nicht in der Lage sind (Politikberatung?!) zielgerichtete Fragen
       zu ökologischen Sachverhalten zu stellen, erhalten sie auch keine, über das ohnehin Bekannte
       hinausgehende (Bewertung EU-WRRL, Einleitungsmengen Kläranlagen u.s.f.), Antworten. In der
       nächsten Baden-Württembergischen Legislaturperiode haben Bündnis 90/Die Grünen sicher Ge-
       legenheit ihre zweifellos vorhandene ökologische Fachkompetenz durch kritische Anfragen an die
       dann regierende Parteienkonstellation zu demonstrieren. Nur entscheiden sie dann nichts mehr.

 

   Twain, M. (1880): A tramp abroad. American Publishing Company. Chatto & Windus. London.

       

        [Beobachtungen einer solchen Befahrung sind etwa, dass Eisvögel mit wenigen Ausnahmen
        wie Stuttgarter- & Mannheimer Hafen, überall und Flussregenpfeifer stetig auftreten.
        Oder dass Stauden-Neophyten entlang der degradierten Neckar(blockschüttungs)ufer kaum
        1 Prozent ausmachen und von Weidengehölzen - sofern man diese lässt - fast überall zurück-
        gedrängt werden, folglich nicht so schnell heimische Arten ausrotten, wie so oft kolportiert.]

 

        Das Mark-Twain-Center (MTC) in Heidelberg, erwähnt (2024) den Namensgeber auf seiner
        website gar nicht. M. Twain hätte sich bedankt und sicher wäre ihm zu diesem Sachverhalt
        auch eine Geschichte eingefallen.

        

3     Altenhofer, U. & Altenhofer, C. (1989): Der Hadernkahn. Geschichte des Faltbootes. Pollner
        Verlag. 184 S..

 

4

        Leitmedien titeln beim Anstoß von Maßnahmen „Platz für die Natur, wie sie war“ (darunter eine
        Abbildung des Neckars bei Mannheim; Frankfurter Rundschau 1.2.2023)“, oder sehen nach
        Übergabe des symbolischen Schecks „Den Fluss auf einer Strecke von 3,3 Kilometern in seinen
        natürlichen Zustand (welchen?) versetzt“ (www.mannheim.de). 
Die meisten Redakteure stehen
        hierfür jederzeit bereit (vgl. 
Ökologie & Natur). Tiefergehende Recherchen sind offenbar zeit-
        ökonomisch verheerend und finanziell nicht tragbar; so verzichtet man am besten darauf.

 

        Wer hat schon eine vage Vorstellung davon, was längst verloren gegangen ist?

 

         Vortrag (Teil) von Prof. Dr. Sieglin beim Verein für vaterländ. Naturkunde in Württemberg (1892):

         „Nicht nur im hohen Norden Deutschlands in der Nähe der Nord- und Ostsee, sondern auch in verschie-
           denen Gegenden Süd
dentschlands sah man sich in früheren Jahrhunderten veranlasst, zu bestimmen, dass
           keine Dienstherrschaft das Recht habe, ihrem Ge
sinde gegen dessen Willen mehr als zweimal wöchentlich
           Lachs vor
zusetzen. Diese guten Zeiten sind nun wohl für immer vorbei, da die Polizei sich genötigt sah, in
           solcher Weise zum Schutze der 
Dienstboten einzugreifen ! Ist doch, soweit ich ermitteln konnte, der  letzte
           Lachs in württembergischen Gewässern im Jahre 1887 in der 
Nähe von Jagstfeld und der vorletzte einige
           Jahre früher in Heilbronn gefangen worden!
“ 

 

5     Gewässerdirektion Neckar Hrsg. (2003): Gütezustand der Fließgewässer im Neckar-Einzugs-

        gebiet. IKONE Heft 5. 39 S..
        Die behördliche Dokumentation enthält auf S. 25 eine Grafik, wonach die mittlere Temperatur
        im Jahr 2001 an der Station Rockenau 15°C betrug. Daten der zum KKW nächstgelegenen
        Station Guttenbach (= höhere Werte) werden hingegen nicht dargestellt.
        In derselben Abbildung wird der Efffekt des KKW Neckarwestheim zwischen Besigheim (unge-
        eignete Referenz s.o.) und Laufen gezeigt. Zum Verständnis: Diese Daten sind nicht falsch. Nur
        ist die Darstellung beschönigend und andere Datensätze konnten wg. fehlender Validität nicht
        verwendet werden.

 

6      Die Regression zwischen Anstieg der mittleren Lufttemperatur und Wassertemperatur von
        Oberflächengewässern taugt mit einer Steigung von 1 als erste Näherung. Eine negativ-li-
        neare Beziehung gilt zwischen Meereshöhe (x) und mittlerer Flußtemperatur (y).

   

      Die Broschüre zum Kulturdenkmal Schleuse ist faszinierend. Ein weiterer/anderer Zugang zum
        Neckar. Aktuelles zum Ausbau der Schleusen am Neckar: Landtagsprotokoll vom 25.10.2023.

 

8     Daten: WSV - Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes.

 

Map data ©2023 Google

      Untersucht man die Schiffsbewegungen auf dem Neckar, kann man gleich
       die bunten Ölfilme an den Anlegestellen betrachten.
       Kein Aufreger - schlicht normale Neckar-Belastung, auf die man eigentlich
       verzichten kann. Ein Neckarbad in Stuttgart spart u.U. die Sonnencreme.

 

 

 

 

9    weitere Neckargedichte s.a.
      Wehr, A. Hrsg. (1994): Neckar-Lesebuch. Silberburg-Verlag. 95 S..
      zur Kulturlandschaft des Neckars s.
      Bürger, J. (2013): Der Neckar. Eine literarische Reise. C.H. Beck. 286 S..

Druckversion | Sitemap
© 2004-2024 Limnoterra, Dr. H. Tremp