Der Neckar ist der Wasserweg durch Baden-Württemberg
Er ist Gegenstand unzähliger naturwissenschaftlicher und kultureller Betrachtungen. Entlang des gesamten Neckars ist man mit Zug oder dem Kfz wenige Stunden unterwegs. Als kontrastreichster Flussradweg ist der Neckar in weniger als acht Etappen erfahrbar, der Neckarmarathon erfordert wenigstens sieben Tage.
In diesem Beitrag ist nicht von seinen lauschigen Anfängen im Schwenninger Moos, den poetischen Ufern Tübingens, oder gar Burgenromantik die Rede.
Hunderte Bildbände und websites sehen in dieser Form der Darstellung ihre Auf-gabe. Glatte Bilder, die weder Geruch noch Geräusch erahnen lassen und die die Problematik des Lebensraumes für Tier und Mensch im Grunde nicht tan-giert.
Darstellung der Gewässerbelastung, ob strukturell oder chemisch-biologisch - auch aus politisch-administrativen (= offiziellen) Quellen - geschieht meist in Form bunter Grafiken mit positiver Trendentwicklung. Wenn Neckarfisch, dann meist Portraitauf-nahmen aus dem Aquarium. Diese Formen der positiv-ansprechenden Vermittlung sind üblich und inhaltlich nicht falsch. Aber sie sind zweckoptimistisch, einseitig und häufig in ihrer Bedeutung für Nicht-Fachleute kaum einschätzbar.
Wie nimmt man einen Fluss auf Augenhöhe wahr?
Indem man ihn befährt!
„I am going to Heidelberg on a raft. Will you venture with me? Their faces paled a little, but they assented with as good a grace as they could“
Mark Twain (1880)1
Im Sinne Mark Twains, der seine Kumpane zu einer Floßfahrt auf den Neckar bittet, möchte dies Limnoterra mit der Befahrung über 300 Kilometer in neun Tagen (incl. An- und Abfahrt mit der Bahn)
tun. Ein Vergnügen ist eine solche Fahrt mit einem Faltboot - d.h. hölzerne Innenkonstruktion und dünne Bootshaut - angesichts von
34 Wehren und 27 Schleusen und unberechenbar-blockreicher Renaturierungsab-schnitte nicht. Vielmehr eine Schinderei.
Der Gewässerführer des Deutschen Kanuverbandes (DKV) rät von der Befahrung des Oberen Neckars ab Tübingen ganz ab. So verwundert es nicht, dass während der Wanderfahrt erst am 4. Tag die ersten Plastikkajaks (Stocherkähne und Tretboote zählen nicht) im Esslinger Feierabendbetrieb gesichtet wurden.
Faltboot und Neckar haben Tradition. Noch vor 100 Jahren dachte ein jeder an ein Faltboot, wenn von Kajak oder Paddelboot die Rede war. Es fanden Treffen von bis
zu hundert FaltbootfahrerInnen am Neckarufer statt, wie historische Bilder zeigen.2
Alles fließt - bereits die Quellen
Wie lange der Neckar war und ist, weiß zwar das Internet, aber im Grunde nie-mand so richtig. Je nachdem, ob man Altneckar oder Kanal befährt, kommen heute Längen zwischen 362 und 367 Kilometern zustande.
Bereits die obersten Kilometer Neckar sind (hinter)fragwürdig, denn zweifellos ist die Eschach der längere Quellarm (380 km) und nicht das Schwenninger Quellbächlein.
Hinsichtlich der Neckarquelle gilt, dass dort, wo die Hinweisschilder zum Neckar-ursprung stehen (Bild: 1 & 2), er ziemlich sicher nicht ist.
Etappe 1
Falls es Zeitungsredakteure geben sollte, die in Schwenningen noch einen sauberen und in Stuttgart einen dreckigen Neckar vermuten, plädiert Limnoterra für einen Realitätstrip mit geöffneten Scheuklappen und Nasenflügeln.
Etappe 2
Zweifellos einer der landschaftlich schönsten Neckarabschnitte. Nicht verkannt wer-den darf, dass der Neckar bereits bei der Trinkwassergewinnungsanlage Neckarburg in Folge massenhafter Entwicklung der benthischen Grünalge Cladophora glomerata - infolge zu hoher Nährstoffbelastung - ein grünes Flussbett besitzt. Sein Wasser ist nicht trinkbar.
Etappe 3
Es geht los. Mit der Kleinen Vik, einem älteren Pouch CR12 Testboot, und zwei klei-nen Packsäcken mit Schlaf-, Biwaksack und Wechselklamotten. Täglich wird so weit gepaddelt, bis die Kraft zu Ende geht, bzw. bis es dämmert. Der häufig erwähnte Pegel Horb (±50 cm) garantiert nicht, dass man im Oberen Neckar sein Faltboot nicht zuschanden fährt.
Etappe 4
Die wohl übelste Wehrstrecke eines Flusses in Deutschland. Die Segnungen der Was-serkraft werden von Limnoterra durchaus anerkannt, v.a. auch in ihrer historischen Dimension. Der Begriff Ökostrom,
der zerhäkselte Fische und Wanderungseinschrän-kungen der Lebewesen in Kauf nimmt, bedarf in seiner Ambivalenz natürlich einer begrifflichen Klärung.
Etappe 5
Für diese Strecke gilt das für die Etappe 4 bereits Gesagte. Ausgesprochen ärgerlich ist die Ignoranz bis hin zur Fahrlässigkeit der (Kraftwerks)Betreiber, die bisweilen noch das Wehr ankündigen, aber in praktisch keinem Fall Hinweise auf Rettungsaus-stiege geben, oder einfachste Anlandungshilfen bereitstellen.
Wie der geschredderte Aal sollte sich auch der Kleinbootfahrer des Risikos und Haftungsausschlusses bewußt sein.
Etappe 6
Im nächsten Neckarabschnitt nicht laufend ein 30 kg Boot (beladen & nass) Böschungen hinauf und hinab zu schleppen, lässt einen - selbst angesichts der Aussicht ab Plochingen noch 27 Schleusen bewältigen zu müssen - geradezu euphorisch werden.
Etappe 7
Wie riecht der Neckar im Sommer? Durchgehend ein leicht stickiger Geruch, der von zerschlagenen bzw. sich zersetzenden planktischen Algen herrührt.
Darüber liegt die Note Balsampappel/Weide, Kot, oder der stumpfe, an Ozon erin-nernder Geruch der Kläranlagen. Selten und nur von Sekunden-Dauer sind die Ge-rüche Schiffsdiesel und Schmierfett. Und in Mannheim entlang des Mühlauhafens ein fieser Ausflug in die organische Chemie und der (erstaunlicherweise) unangenehme Geruch von Kakaoverarbeitung einer Schokoladenfirma.
Etappe 8
Die Beurteilung der Belastung des Neckars geschieht EU-weit durch Untersuchung der Artenzusammensetzung bei Tieren (Fische, Kleinlebewesen) und Pflanzen (Algen, Wasserpflanzen).
Die Ergebnisdarstellung dieser Bewertung erfolgt in Baden-Württemberg nicht mehr mittels (linearer) Farbgebung der Flüsse, bzw. ihrer Abschnitte, sondern flächig (sog. Oberflächen-Wasserkörper), was dem gewässertypisch-intuitivem Verständnis von Nicht-Fachleuten entgegensteht. Datenberge verschwinden gewissermaßen im Nebel der Datenaggregierung, was überhaupt nicht zu dem permanent geäußerten politi-schen Ziel der Transparenzförderung passt. Das Bundesumweltamt stellt eine entspre-chende Karte bereit, wonach sich der Neckar durchgehend in einem mäßig bis schlech-ten Zustand befindet. Am schlechten Zustand des Mittleren und Unteren Neckars wird sich in den nächsten Jahrzehnen nichts ändern.
Etappe 9
Bei erstmaliger Verwendung der Bootsschleppen ist man als Wasserwanderer ent-zückt. Bootschleppen sind Aluminium-Loren, die ins Wasser gefahren werden. Der Kajak wird darüber positioniert und kann so bequem aus dem Wasser und über längere Schleusen- bzw. Wehrstrecken gezogen werden. Leider sind diese sinnvollen Einrichtungen in die Jahre gekommen. Von den insgesamt 27 Neckar-Bootschleppen funktionierten ¼ gut, bei einem ¼ der Schleusen gibt es die Einrichtung nicht, bzw. nicht mehr. Bei rd. der Hälfte der Fälle waren die Loren schwergängig, sprangen aus dem Gleis, oder es fehlten Zugseile. In Einzelfällen werden statt der Loren luftbereif-te Wagen zur Verfügung gestellt. Angesichts der Bedeutungslosigkeit des Wasser-wanderns auf dem Neckar sind die Wartungsdefizite nachvollziehbar.
Etappe 10
Richtig still ist es auf dem Neckar nie. Dass es im Stuttgarter und Mannheimer Hafen beim Verladen von Schrott ordentlich scheppert verwundert nicht. Eher, dass auf Ab-schnitten in denen weder Siedlung noch Industrie eine Rolle spielen, nervtötender Lärm herrscht.
Beispielsweise gilt dies für den tief eingeschnittenen Neckarabschnitt zwischen Rott-weil und Neckarburg, der wegen eines traditionellen Schießplatzes von Gewehrsal-ven erschüttert wird, die in dem Engtal vielfach widerhallen. Akustisch ähnlich in den engen Schleifen des Odenwaldneckars. Insbesondere Motorrad- und Schwerlastver-kehr verursachen hier brachiale Lärmorgien. Genaugenommen lässt der Motorrad-fahrer seinen eigenen Lärm hinter sich zurück, gewissermaßen als Abfall. Schwerste Lastschiffe erzeugen dagegen ein gemütliches Brummen.
Etappe 11
Wie geht es weiter? Nun ist der Neckar schon einmal auf 203 Kilometern hart aus-gebaut und für 100m-Schiffe geeignet. Unbestreitbar: Schiffs-Lastenverkehr weist ein günstiges Verhältnis von Nutzlast zu toter Last auf, erfordert kaum Personal und verbraucht im Vergleich zum LKW weniger Energie.
Nun wurden bei der Neckarfahrt der kleinen Vik selten an einem Tag mehr als 5 (!) fahrende Lastschiffe passiert. Fakt ist, dass die Tonnage auf dem Neckar (Baden-Württemberg) seit langem zurückgeht, ebenso, dass rd. 50% der Schiffe unbeladen flussabwärts fahren und perspektivisch etwa Kohletransporte (Umstellung Kohle-kraftwerke auf Gas) weniger werden.3
Gebetsmühlenhafte Forderungen wie etwa vom Verband der Region Stuttgart nach weiterer Neckar-„Ertüchtigung“ auf 135m-Schiffe, sollten angesichts vieler Unwägbarkeiten - etwa Niedrig-wasserstände durch Klimawandel und smartere Logistik - vom Tisch sein.
Angesichts der vielfach beobachteten maroden Infrastruktur scheint es vernünftiger, das Bestehende zukunftsfähig zu erhalten und in ökologischer Hinsicht zu verbes-sern, als mit (Nachkriegs-)Konjunkturprogrammen den Neckar aufs Neue und noch intensiver zu degradieren.
1 Twain, M. (1880): A tramp abroad. American Publishing Company. Chatto & Windus. London.
2 Altenhofer, U. & Altenhofer, C. (1989): Der Hadernkahn. Geschichte des Faltbootes. Pollner
Verlag. 184 S..
3 Daten: WSV - Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes.